zerowork work in progress eine Filmreihe der Cinémathèque Leipzig
         
         
         
         
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Im Schweisse deines Angesichtes
sollst du dein Brot essen.

Genesis 3, 19

»Der Müßiggang ist in der Stadt
wie auf dem flachen Land so groß,
daß es keine Kleinigkeit sein wird,
die Leute zu geregelter Arbeit
zu bewegen.«

... heißt es in einem Schreiben aus der Frühphase der
Industrialisierung Ende des 17.Jahrhunderts an den französischen Finanzminister Colbert .

Samtags gehört der Papi mir!
Gewerkschaftsplakat zum 1. Mai, 50er Jahre

 

Arbeit macht das Leben süß!

Einerseits sind Arbeiter die größte soziale Gruppe der Gesellschaft, andererseits entzieht sich ihre Existenz immer mehr dem Licht der Öffentlichkeit. »Am Ende des 20. Jahrhunderts ist die traditionelle Arbeiterklasse physisch nicht mehr präsent: die großen Fabriken und die großen Arbeiterstädte sind weitgehend verschwunden. ...

Migranten werden nicht mehr als Arbeiter angesehen, sondern vorrangig durch ihre nationale Herkunft definiert.«1
Wenn man sich überhaupt noch für die Proletarier interessiert, dann mit einem romantisierenden Blick in die Geschichte oder weil sie rechtsradikal auffallen – wobei sie dann zumeist arbeitslos sind.
Die Arbeiter scheinen von der gesellschaftlichen Bildfläche verschwunden; was sich nicht zuletzt in dem Phänomen ihrer zahlenmäßigen Unterschätzung aufzeigt.2 Woran kann das liegen?
Daß heute von Arbeit, als einem onthologischen Begriff, der versucht alles was nur irgendwie in den Bereich einer Tätigkeit fällt für sich zu vereinnnahmen, geredet wird, wurde in den letzten ungefähr 200 Jahren durchgesetzt.3 Die Behauptung Arbeit wäre ein Zentralbegriff des Menschseins, so wie Freiheit, Tod oder Liebe, ist insofern naheliegend, aber falsch (und erfährt einen ihrer zynischen Höhepunkte am Haupttor des KZ Auschwitz: »Arbeit macht frei«).

Daß die (vermeintlich) einhellige Wertschätzung der Arbeit neueren Datums ist, möchten wir anhand der Widersprüchlichkeit im Sie-Empfinden als einem noch lange nicht permanent durchgesetzten Prozeß und Kampf um und gegen sie aufzeigen.
Zudem findet eine Verschiebung im Selbstverständnis statt, die mit der Abwertung der manuellen Arbeit einhergeht. Diese Verschiebung bringt es mit sich, daß sich Freiberufler, Selbständige, Kleinstunternehmer oder Arbeitslose nicht als Arbeiter bezeichnen.
Immer wieder taucht die Behauptung auf, Arbeit wäre etwas für die Entfaltung der Gesellschaft und der menschlichen Kreativität notwendiges. Immer wieder konterkarieren die persönlichen Erfahrungen dieses. Arbeit entspringt nicht dem schöpferischen Drang der Menschheit, sondern bezeichnet vielmehr die Struktur ihrer Entfremdung. Arbeit ist ein ideologisch aufgeladener und zu lesender Begriff. Seine Begrenztheit läßt sich ermessen, wenn wir überlegen, ob wir das was Prostituierte tun, als Arbeit ansehen oder ob die hinter einem sorgfältig geplanten Banküberfall steckende Mühe nicht auch Arbeit ist. Und wenn schon Kreativität mit Arbeit verbunden werden soll, wie verhält es sich dann mit dem, was Künstler tun? Können wir uns vorstellen, daß Kunstwerke im Akkord, mit geregelten »Arbeitszeiten« und gewerkschaftlichen Pausen entstehen?

Als man die Menschen Anfang des 18. Jahrhunderts endlich in das Joch der Manufaktur oder der Fabrik eingespannt hatte, konnte man keineswegs sicher sein, daß sie dort auch blieben und täglich wiederkamen. In der Phase der ursprünglichen Akkumulation kam es häufig vor, daß Lohnarbeiter zu arbeiten aufhörten, wenn sie ausreichend verdient hatten; denn die Imperative und Verhaltenszumutungen der Lohnarbeit, unabhängig von biologischen und klimatischen Rhythmen Tag für Tag dieselben monotonen Handgriffe zu wiederholen, pünktlich in der Fabrik zu erscheinen und sie nicht vor Feierabend zu verlassen, waren den vorindustriellen Menschen fremd. Solang die menschlichen Tätigkeiten noch nicht der ökonomischen Rationalität unterlagen, fielen sie mit Zeit, Bewegung und Rhythmus des Lebens zusammen. Die übliche Gebrauchswertproduktion kannte die Kategorie des »Genug«. Mehr zu produzieren, als man zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse benötigt, galt als sinnlos.

»Die Hochschätzung des Berufes ist ein ganz zentrales Element dieser (der kapitalistischen, d.A.) ›eigentümlichen Ethik‹. (Max) Weber spricht von der Berufspflicht als ›...in gewissem Sinne ... von konstitutiver Bedeutung‹ (für die ›Sozialethik der kapitalistischen Struktur) (Bd. 1, S.45).
Er beschreibt die Berufspflicht als: ›eine Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber dem Inhalt seiner beruflichen Tätigkeit, gleichviel worin sie besteht, gleichviel insbesondere, ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (›als Kapital‹) erscheinen muß‹ (Bd 1, S.45). Hier stellt sich ›Beruf‹ als absoluter Selbstzweck dar. Im Gegensatz dazu die vorkapitalistisch, traditionalistische Vorstellung, in der der Beruf der Zweck und die Arbeit das Mittel ist, diesen Zweck zu erreichen – und zwar mit einem Minimum an Leistung.
Diese traditionalistische Vorstellung verdeutlicht Weber u.a. am Beispiel von Landarbeitern. Diese arbeiten bei Erhöhung des Akkordlohnes (in Mark je Morgen) entsprechend der Erhöhung weniger, da sie ja nun mit geringerem Aufwand die Mittel für ihren Bedarf erwirtschaften. (Bd 1, S.50)«4
Alltag folgte einem anderen Rhythmus und kannte die strikte Trennung von Arbeit und Leben nur anfänglich. Mancherorts wurden, um dies zu ändern, ganze Siedlungen mit Werksirenengeheul geweckt, um die Arbeiter aus den Betten an die Maschienen zu zwingen und der anfänglich – zum Anreiz – relativ hohe Lohn (s.o.) schnell auf ein schmerzhaftes Minimum begrenzt, um eine Abhängigkeit zu erzeugen.

Daß das Bild und die Zuschreibung von Arbeit sich in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Prozessen verändert, ist spätestens seit den von der Kriegsindustrie umworbenen Frauen des 2. Weltkrieges deutlich, deren Männer wärenddessen auf dem Schlachtfeld starben. Dem voraus gingen immer wieder ähnliche Prozesse, wie beispielsweise der Versuch, mit dem Aufkommen der Manufaktur das handwerkliche Monopol in den wachsenden Städten der Neuzeit zu brechen – durch Frauen- und Kinderarbeit. »Zurück an den Herd« wurden sie nach den jeweiligen Siegen bzw. Niederlagen ideologisiert. Und auch während der libertären Revolution im Spanien der 1930er Jahre waren der Einheitslohn oder gar die Abschaffung des Geldes kommunistischen Kadern suspekt, denn sie sahen den Anreiz überhaupt zu arbeiten entschwinden.
Hinter all dem stecken viele Bereiche der menschlichen Historie: von der Emanzipation des Bürgertums von der Feudalgesellschaft mit gleichzeitigem Einhergehen der Entwicklung eines protestantischen Arbeitsethos (welcher sich in der »Arbeiterehre« zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederfindet) über die zum gesellschaftlich anerkannten Dasein notwendige Verfügbarkeit von Zahlungsmitteln (Lohnarbeit) des 19. und 20. Jahrhunderts bis zur immer wieder geträumten utopischen »Freiheit«. Überhaupt, es lohnt sich auch über das Verblassen des Begriffes vom Schlaraffenland, seine Umsiedlung in die Kinderbücher nachzudenken.

Die Filmauswahl versucht der Widersprüchlichkeit von angelernter, somit also als »natürlich« empfundener Situation und gesellschaftlicher Struktur Rechnung zu tragen, indem sie sich exemplarischen Aspekten der Durchsetzung von Arbeit (À NOUS LA LIBERTÉ René Clair, Frankreich 1932 // ON THE WATERFRONT Elia Kazan, USA 1954) ebenso wie denen der Selbstwahrnehmung der Menschen darin (EGGESIN MÖGLICHERWEISE Olaf Winkler, Dirk Hahn, BRD 2005, Dok // ALTER EGAUX Sandrine Dryers, Belgien 1999) widmet.
In diesem Zusammenhang darzustellen, daß wir es hier mit einem Umstand zu tun haben, welcher sein Wirken keineswegs in der Fremde entfaltet, sondern vielmehr die globale »Konkurrenzsituation« eine ideologische Konstruktion ist, steht gleichwertig neben der immer wieder eingenommenen menschlichen Perspektive (TECHNIK DES GLÜCKS Chris Wright, Stefan Kolbe, BRD 2003, Dok // LA RAISON DU PLUS FAIBLE Lucas Belvaux, Belgien/Frankreich 2006).

Die immer wieder eingeworbene Regionalität ist hierbei ein mikroklimatischer, individueller Ereignishorizont und somit beschreibt »globalisiert« immer die Grenzen der terra cognita; zwischen dessen Polen die Menschen vernetzt sind, auch wenn sie dies oftmals nicht oder nur verzerrt wahrnehmen.

Der Ansatz unseres Programms ist es, sich diesem sehr komplexen Thema von zwei Seiten zu nähern und eine Art Klammer zu schaffen.
Ebenso wie »Arbeit« realgesellschaftlich gesehen eine Medaille mit zwei Seiten ist, wollen wir über die Film- und Textauswahl sowohl die Ebene des direkten (soweit sich im filmischen Sinn davon sprechen läßt) Erlebens, als auch den Zugang zu theoretischen Ansätzen ermöglichen.
Film hat hier die Möglichkeit im Lewis-Carollschen Sinn als »Grinsekatze« zu fungieren

1,2 Beaud / Pialoux »Die verlorene Zukunft der Arbeiter« UVK Verlagsgesellschaft 2004
3 Kurz, Lohoff, Trenkle »Feierabend! Elf Attacken gegen die Arbeit« Konkret Literatur Verlag 1999
4 zitiert nach Margarete Payer »Kulturen von Arbeit und Kapital«, Vorlesung an der Hochschule der Medien Stuttgart, WS 05/06
www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01202.htm

work arsenal kulturstiftung Datum