zerowork work in progress eine Filmreihe der Cinémathèque Leipzig
         
         
         
         
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Programm 9
Di 29.5. 21.45

Technik des Glücks

Chris Whright, Stefan Kolbe
BRD 2003, 68 min

Technik des Glücks

Früher gab es das Kraftwerk Vockerode-Zschornewitz. Tausende machten hier aus Kohle Strom. Mit der DDR verschwand das Kraftwerk und mit ihm die Arbeit. Es blieben die Amateurfilme der Kraftwerker. Gefilmte volkseigene Erfahrung, das kleine private Glück neben großen, nicht eingelösten Versprechen.

Die Debütproduktion der beiden Babelsberger Filmstudenten Chris Wright und Stefan Kolbe nimmt den Zuschauer mit nach Sachsen-Anhalt. Aus dem Off erzählt ein junger Mann aus England, wie er nach Zschornewitz kommt um das Kraftwerk zu besuchen, das die Briten im Zweiten Weltkrieg bombardieren wollten. Sehr schnell findet er heraus, daß das Werk zwar den Weltkrieg, nicht aber die Wende überlebte. Die Kamera kommt gerade noch rechtzeitig, um die Sprengung der Kraftwerkstürme zu filmen.
Ab dort erzählen die Bilder der Kraftwerker die Geschichte. Die Reise in die Vergangenheit ist eine Montage verschütteter Zeugnisse, von Bildern, Filmen und Texten aus den Zirkeln schreibender Arbeiter. Wright und Kolbe montieren nicht etwa eine melancholische Sicht auf die ehemalige Heimstätte von Malochern, sondern reaktivieren Lebenszeugnisse, die mit dem geschliffenen Werk verschwunden waren.

Der Film bedauert nicht die Menschen, die durch die Abschaltung des Werks arbeitslos geworden sind, oder erzählt Familiendramen. Doch er bringt ans Licht, wie ihre Lebensgeschichte mit untergeht, wie ihre Lebenszeugnisse – Bilder, Filme, Texte – in den Kellern verschwinden, vergilben und vergessen werden, wie eng sie ihr Leben und ihre Persönlichkeit mit ihrer Arbeit verflochten, darin zuletzt zu verschwinden schienen und erst durch ihre alten Filme wieder als Individuen erkennbar sind.

Der Titel bezieht sich auf Franz Jung, einen Schriftsteller und radikalen Aktivisten, der in der DDR-Literaturgeschichte keinerlei Rolle gespielt hat und auch in der Bundesrepublik zumindest bis zu seinem Tod 1963 weitgehend unbeachtet blieb. Jung, Autor expressionistischer Prosa und Dadaist, war zunächst Kriegsfreiwilliger, dann Deserteur, linksradikaler Aktivist, Börsenmakler und noch so einiges mehr. Von ihm stammen die »Psychologischen Anleitungen in vier Übungsfolgen« überschrieben mit »Die Technik des Glücks«, wo er schreibt: »Glück ist, (...), im Bewußtsein des Einzelnen die rhythmische Gemeinsamkeit im Erleben der Gemeinschaft, ein fortgesetzt pulsierendes Erleben, das, vom Bewußtsein in den Zustand und in das Sein verankert, Ruhe und Sicherheit ausdrücken würde.«

Die Kraftwerker hatten ihr Erleben und ihr Glück auf ihre Filme gebannt. Von dort holen es die beiden Filmemacher wieder zurück, indem sie es mit der Veröffentlichung wieder ins Bewußtsein hieven und den Kraftwerkern damit vielleicht helfen, aus der Lebensdefensive auszuscheren.

work arsenal kulturstiftung Datum